„Zugänge“ – dokumentiert vom Friedensbüro Münster

Podiumsdiskussion des FANport Münster: „Jüdischer Sport in Deutschland und im Münster der 1930er Jahre‟ 

Gestern lud das sozial­pädagogische Fan­projekt der Outlaw Kinder- und Jugend­hilfe „FANport Münster‟ zu einer spannenden und eindrück­lichen Podiums­ver­an­stal­tung mit Kurz­vorträgen und anschlie­ßender Dis­kussion in den Gemeinde­saal der Pfarrei Liebfrauen-Überwasser ein.
Bericht aus dem Blog des Friedensbüros Münster

Die Veranstaltung fand im Zuge der Aus­stellung „Zwischen Erfolg und Verfolgung‟ statt, die wir zurzeit in Koope­ration mit dem FANport, der Kirchen­gemeinde Liebfrauen-Überwasser und weiteren Partner*innen auf dem Über­wasser­kirch­platz zeigen. Weitere Infor­mationen zur Aus­stellung und zum Netz­werk findet Ihr hier.

Mit der Podiums­veranstaltung „Jüdischer Sport in Deutschland und im Münster der 1930er Jahre‟ richtete der FANport Münster den Blick auf unsere Stadt und stellte die Frage, unter welchen Um­ständen es jüdischen Münste­raner­*innen nach 1933 mög­lich war, sportlich aktiv zu ein.

Lorenz Peiffer: „Jüdischer Sport in Deutschland – Veränderungen nach 1933‟

Nach einer Begrüßung durch Edo Schmidt, den Leiter des FANports Münster, der die Veran­staltung mode­rierte, eröffnete Professor Lorenz Peiffer, Sport­historiker und Kurator der Aus­stellung „Zwischen Erfolg und Verfolgung‟, den Abend mit seinem Vortrag „Jüdischer Sport in Deutschland – Veränderungen nach 1933‟. Professor Pfeifer erläu­terte den inte­ressierten Zuhörer­*innen, dass jüdische Sportler­*innen vor 1933 in den ganz normalen deutschen Sport­vereinen organisiert waren. Hier trainierten sie, nahmen an Wett­kämpfen, Meister­schaften und dem Vereins­leben teil. Nach der Macht­übergabe an die National­sozialisten änderte sich dies schlag­artig. Der Aus­schluss der Juden aus der Gesell­schaft war das Ziel der national­sozialis­tischen Politik und auch nicht­staatliche und partei­un­gebun­dene Akteure, wie die Turn- und Sport­vereine, stellten sich hierfür bereit­willig zur Ver­fü­gung. Von der Ent­demo­krati­sierung der Vereine und ihrer Ver­bände, über die Auf­gabe der partei­poli­tischen Neu­tralität, hin zur Ein­führung des Arier­para­graphen wurden die jüdischen Mit­glieder syste­matisch aus­ge­schlossen. Den Sportler­*innen blieben nur noch zwei Mög­lich­keiten: Ent­weder gaben sie ihren Sport auf oder sie organi­sierten sich selbst neu.

Dass die National­sozialisten die jüdische Selbst­organisation zu­ließen, hatte im Wesent­lichen mit den Olympischen Spielen zu tun, die 1936 in Berlin statt­finden sollten. Vor allem in den USA gab es Bemühungen, die Spiele zu boy­kottieren. Jüdischen Athlet­innen und Athleten wurde die Teil­nahme an den Spielen teil­weise erlaubt, aber sie waren bereits lange Zeit zuvor von den Trainings­stätten und Wett­kämpfen aus­geschlossen worden und die Bedingungen, unter denen sie sich auf die Olym­pischen Spiele vor­berei­ten mussten, waren dem­ent­sprechend un­zu­reichend und un­an­gemessen.

Auch in der Ausstellung „Zwischen Erfolg und Verfolgung‟ werden die un­zu­mutbaren Bedingungen, die für die jüdischen Athleth­innen und Athleten bei der Olympiade 1936 herrschten, thematisiert: Der Fechterin Helene Mayer entzog man 1933 das Sti­pendium und sie wurde sang- und klan­glos aus der Mitglieder­liste ihres Offenbacher Fechtclub gestrichen. Der Welt­klasse-Hoch­springerin Gretel Bergmann wurden 1933 die Medaillen ab­erkannt und sie wurde aus ihrem Verein aus­geschlossen. Der Aus­schluss bedeutete: keine Sport­stätten, keine Trainer, Betreuer oder Wettkampf­strukturen. Wo und wie sollten die Athlet­innen und Athleten also trainieren? Gretel Bergmann und ihre Freunde gruben auf eigene Faust einen Acker um und nutzten ihn als Trainings­stätte, damit sie sich weiter auf den Wett­kampf vorbereiten konnte. Selbst unter diesen Trainings­bedingungen gelang es ihr vier Wochen vor den Olympischen Spielen, den deutschen Rekord über 1,60 Meter ein­zu­stellen. Die Teil­nahme an der Olympiade wurde Gretel Bergmann dennoch mit faden­scheinigen Begründungen ver­weigert. Der Um­gang mit den jüdischen Spitzen­sportler­*innen kann laut Professor Peiffer in drei Worten zusammen­gefasst werden: Verehrt – Verfolgt – Vergessen.

Gisela Möllenhoff: „Sport im Abseits in Münster während der NS-Zeit‟

Ob und unter welchen Bedingungen es jüdischen Münsteraner­*innen nach 1933 noch mög­lich war, Sport zu treiben, erläuterte Gisela Möllen­hoff in ihrem an­schlie­ßenden Vortrag zum Thema „Sport im Abseits in Münster während der NS-Zeit‟. Die Historikerin Gisela Möllenhoff hat inten­siv zu jüdischem Leben in Münster und Wes­tfalen ge­forscht und gemein­sam mit Rita Schlautmann-Overmeyer das drei­bändige Werk „Jüdische Familien in Münster‟ ver­öffent­licht.

Der Sport spielt in den Erinnerungen der jüdischen Münsteraner­*innen eine wichtige Rolle: Richard Frankenstein war zunächst Mit­glied beim SC Preußen Münster 06 und später, nach 1933, im Schild Münster aktiv. In seinem Ge­spräch mit Gisela Möllenhoff erinnerte er sich an ein Fuß­ball­spiel gegen Dülmen-Coesfeld, in dem er im Tor gestanden hatte. Noch 50 Jahre später ärgerte sich Richard Franken­stein über die 7 Gegen­treffer, die er in diesem Spiel als Torwart kassierte. Auch für die Münsteranerin Gerda Grabe war der Sport ein ent­scheidender Lebens­inhalt. Gerda Grabe war Tennis­spielerin und Mit­glied der Tennis­abteilung des SC Münster 08. Hier im Verein hatte sie einen Freund. Ihr Onkel er­kannte die Gefahr für Gerda früh und 1935 emigrierte sie auf seinen Wunsch hin nach Palästina.

Nach dem Aus­schluss aus den Tennis­vereinen organisierten sich die jüdischen Münsteraner­*innen unter Dagobert Broh selbst. Auf der Mai­kotten­heide, außer­halb der Stadt, spielten die Jüdinnen und Juden nach dem Aus­schluss Tennis. An den Wochen­enden mussten die Tennis­plätze hier mit Tuch um­zogen werden, damit die „arischen‟ Münsteraner­*innen die Tennis­spieler*innen auf ihrem Weg zur Gast­wirtschaft Mai­kotten nicht sehen konnten. Die trainierten, sportlich aktiven Jüdinnen und Juden passten nicht zu den anti­semitsichen Stereo­typen und menschen­verachtenden Zerr­bildern der National­sozialisten.

Für ihre Recherchen zu jüdischem Leben in Münster reisten Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmeyer durch die ganze Welt, waren unter anderem in den USA, Österreich, England und Israel. Hier haben sie jüdische Münsteraner­*innen zu ihren Lebens­geschichten und Erfahrungen inter­viewt, „damit wir für die Zukunft lernen‟. „Aber‟, schließt Gisela Möllen­hoff ihre ein­drück­lichen Aus­führungen ab, „wir lernen nie aus.‟

FANport Münster und Lernort Preußenstadion: Das Projekt „Spurensuche‟

Jan Becker vom Ler­nort Preußen­stadion präsen­tierte im An­schluss an die beiden Vor­träge das außer­schulische Bildungs­angebot „Spuren­suche‟. Der FANport Münster und der Lern­ort Preußen­stadion sind aktiv im Bereich der Gewalt- und Extremismus­prävention und eine An­lauf­stelle für junge Fußball­fans. Aus der aktiven Fan­szene erreichte den FANport die Frage, „Wie hat sich Preußen Münster in der NS-Zeit verhalten?‟. Die Corona-Pandemie bremste die eigent­liche soziale Arbeit des FAN­ports in den letzten Monaten aus und so nutzen Edo Schmidt, Jan Becker und das Team die Gelegen­heit, sich intensiver mit der Ge­schichte zu be­fassen.

Im Rahmen ihrer Re­cherchen stießen sie auf die Bücher von Gisela Möllen­hoff. „Zeile für Zeile‟ schilderte Jan Becker, arbei­teten sie die Bände durch, notier­ten alle Infor­ma­tionen zum Thema „Fußball‟, „Sport‟, „Verein‟ etc. Schnell weitete sich das Thema über den SC Preußen hi­naus und so wurde es schließ­lich ein Projekt zum Sport in Münster in der Zeit des National­sozialismus. Das Team konzi­pierte vier ver­schie­dene Routen, die sich dem Thema aus unter­schied­lichen Richtungen nähern: „Sport im National­sozialismus‟, „Der jüdische Sport­verein ‚Schild’‟, „Ernst Rappoport‟ und „DJK – zwei ent­gegen­ge­setze Wege‟. Die „Spuren­suche‟ führt die jungen Teil­nehmer­*innen jeweils zu ver­schie­denen Orten in der Stadt Münster. Das Projekt wurde gemein­sam mit Jugend­lichen er­probt und steht nun für Sport­vereine, Schul­klassen und Jugend­gruppen zur Ver­fü­gung.

„Mit unserem Projekt ‚Spuren­suche‘ versuchen wir, die Ein­schränkungen für jüdisches Leben in Münster zur Zeit des National­sozialismus erfahr­bar zu machen‟, erklärte Edo Schmidt.  „Wie krass die Ent­rechtung und Ver­folgung jüdischer Bürger­*innen war, wird besonders in Alltags­situationen deut­lich, die sich heute kaum noch ein Mensch vor­stellen kann. Gerade junge Menschen müssen hierüber auf­ge­klärt werden, was durch unser Projekt ‚Spuren­suche‘ als An­gebot für Schulen und Jugend­einrichtungen er­mög­licht wird.‟

Weitere Infos zum Projekt „Spuren­suche“ findet Ihr auf der Homepage des FANport Münster.

Quelle: https://www.frieden-durch-dialog.de/podiumsdiskussion-des-fanports-muenster-juedischer-sport-in-deutschland-und-im-muenster-der-1930er-jahre